Im Gegensatz zu Menschen kommunizieren Pferde nicht über Laute, sondern über Körpersprache und Mimik. Dieser Umstand führt dazu, dass wir oft nicht in der Lage sind, die Kommunikation unseres Pferdes richtig zu verstehen. Dies ist insbesondere fatal, wenn Pferde versuchen, uns zu zeigen, dass es ihnen nicht gut geht, sie sich unwohl fühlen oder Schmerzen haben.
Besonders beim Reiten sind sich Reiter aber auch Trainer nicht immer sicher, ob die Belastung für ein Pferd angemessen ist und es sich mit dem Training wohlfühlt. Sei es, weil man nach einer Verletzung oder Trainingspause wieder mit dem Training beginnt, weiter fortgeschrittene Lektionen geübt werden oder weil neue Ausrüstung verwendet wird. Denn ein Pferd, das Schmerzen hat, geht nicht immer offensichtlich lahm. Viele Pferde bleiben trotz Schmerzen weiterhin leistungsfähig und zeigen nur subtile und schwer erkennbare Signale. Auch vermeintliche Widersetzlichkeiten werden in der Reiterwelt immer noch oft als Unarten oder dominantes Verhalten abgetan, obwohl Pferde damit versuchen, dem Menschen etwas mitzuteilen. Eine wissenschaftlich validierte Möglichkeit, Schmerzen und Unwohlsein, insbesondere beim gerittenen Pferd, besser zu erkennen ist das Schmerz-Ethogramm nach Sue Dyson.
Das Schmerz-Ethogramm nach Sue Dyson
Die britische Tierärztin Dr. Sue Dyson ist eine führende Expertin auf dem Gebiet der Pferdeorthopädie und -medizin. Sie hat über Jahrzehnte hinweg Pferde auf Lahmheit und Schmerz untersucht und dabei eine Methode entwickelt, mit der man Schmerzen beim Pferd zuverlässiger erkennen kann. Ihr Ansatz basiert auf der Beobachtung von Verhaltenssignalen, die Pferde zeigen, wenn sie Schmerzen haben. Sie hat 24 Schmerzsignale herausgearbeitet, die beobachtet werden können und auf Schmerzen und Unwohlsein beim Pferd hindeuten.
Die 24 Schmerzsignale des gerittenen Pferdes
- Ohren zurück: Ohren befinden sich 5 Sekunden oder mehr hinter der Vertikalen.
- Geschlossene Augen: Die Augenlider sind für mindestens 2-5 Sekunden halbgeschlossen oder geschlossen.
- Das Weiße im Auge: Das weiße im Auge ist wiederholt sichtbar.
- Intensives Starren: Weggetretener, glasiger Ausdruck im Auge oder intensives Starren für mindestens 5 Sekunden.
- Offener/geschlossener Mund: Das Maul wird wenigstens 10 Sekunden offen gehalten oder wiederholt geöffnet und geschlossen. Der Kiefer ist dabei so weit geöffnet, dass die Zähne voneinander getrennt sind.
- Raushängende Zunge: Die Zunge hängt aus dem Maul oder wird wiederholt rein- und rausbewegt.
- Durchgezogenes Gebiss: Das Gebiss wird vom Pferd zu einer Seite des Mauls durchgezogen und hängt auf einer Seite vermehrt heraus. Bei gebisslosen Zäumungen kann dies durch Zungensaugen, ein Zusammenpressen des Kiefers oder auch das entgegengesetzte Bewegen von Ober- und Unterkiefer sichtbar werden.
- Kopf geht hoch und runter: Der Kopf wird wiederholt hoch und runtergenommen, nicht im Rhythmus des Ganges.
- Geneigter Kopf: Der Kopf wird wiederholt zur Seite geneigt.
- Kopf oberhalb der Vertikalen: Der Kopf wird für wenigstens 10 Sekunden über der Vertikalen (mehr als 30 Grad) getragen.
- Kopf hinter der Senkrechten: Der Kopf wird für wenigstens 10 Sekunden hinter der Vertikalen (mehr als 10 Grad) getragen.
- Kopf geht von Seite zu Seite: Der Kopf wird wiederholt hin- und hergeworfen, gedreht oder zur Seite geschwenkt.
- Schweifposition: Der Schweif wird entweder schief nur auf einer Seite gehalten oder mittig eingeklemmt.
- Schweifschlagen: Das Pferd schlägt wiederholt mit dem Schweif.
- Gehetzter Gang: Das Pferd läuft innerhalb von 15 Sekunden mit einer Frequenz von mehr als 40 Trabschritten oder in einem unregelmäßigen Rhythmus im Trab bzw. Galopp oder mit wiederholten Geschwindigkeitsänderungen.
- Verzögerter Gang: Das Pferd läuft innerhalb von 15 Sekunden mit einer Frequenz von weniger als 35 Schritten im Trab.
- Laufen auf drei Spuren: Das Pferd läuft auf drei Spuren. Die Hinterbeine spuren nicht in die Vorhand.
- Störung des Galopps: Im Galopp wird wiederholt mit falscher Vorhandführung angesprungen, im Kreuzgalopp angesprungen oder es wird vorne oder hinten das Bein gewechselt.
- Spontaner Tempowechsel: Das Pferd wechselt plötzlich die Gangart.
- Taumeln, Stolpern, Zehen ziehen: Das Pferd läuft wiederholt mit ziehenden Zehen der Hinterhand, stolpert oder kommt ins Taumeln.
- Plötzlicher Richtungswechsel: Das Pferd wechselt plötzlich die Richtung entgegen den Reiterhilfen oder erschreckt sich.
- Widerstand: Das Pferd weigert sich, vorwärts zu gehen und braucht wiederholte physische oder verbale Ermutigung oder stoppt spontan.
- Steigen: Das Pferd steigt.
- Buckeln: Das Pferd buckelt.
Hier gibt es die 24 Schmerzsignale mit Bildern kostenlos zum Download: Pain-Ethogramm nach Sue Dyson
Das Schmerz-Ethogramm interpretieren
Um das Schmerz-Ethogramm richtig zu interpretieren sollte das Pferd nach der Aufwärmphase über einen Zeitraum von wenigstens 10 Minuten beobachtet und die sichtbaren Signale gezählt werden. Werden in dieser Zeit 8 oder mehr Signale gezählt, deutet dies auf Schmerzen hin. Je weniger Signale sichtbar sind, desto wohler fühlt sich das Pferd. Aber auch schon bei weniger als 8 Signalen können Pferde Schmerzen haben, Stress empfinden oder sich unwohl fühlen. Im Einzelfall sollten die entsprechenden Signale genau beobachtet und mögliche Ursachen analysiert werden.
Wie geht es deinem Pferd während eures Trainings?
Hand aufs Herz: Wie viele der Signale kannst du bei deinem Pferd im Training oder im Unterricht beobachten? Sei hier ehrlich mit dir selbst. Sprich gegebenenfalls mit deinem Trainer über deine Beobachtung. Denn diese Schmerzsignale sind nicht normal und sollten nicht zum neuen Standard werden. Und sie sind auch nicht einfach Widersetzlichkeiten oder Unarten vom Pferd, sondern eine Mitteilung vom Pferd, dass es ihm nicht gut geht.
Wenn du Veranstaltungen wie Kurse oder Turniere besuchst, achte einmal mit offenen Augen auf die Signale, die die Pferde zeigen. Dies kann einen guten Rückschluss darauf geben, ob die Pferde gesundheitsfördernd und pferdegerecht trainiert werden und hilft dir somit bei der Wahl deiner Trainingsmethode und deines Trainers.
Mit den 24 Schmerzsignalen nach Sue Dyson kannst du Schmerzen und Unbehagen bei deinem Pferd oder deinen Trainingspferden sicher erkennen und frühzeitig darauf reagieren. So kann dein Pferd dir Feedback geben, ob es nach einer Verletzung oder Pause schon wieder bereits fürs Training ist, ob ihm der Sattel passt oder es fortgeschrittene Lektionen bewältigen kann.
Tipp: Sehenswerter Film zu den 24 Schmerzzeichen von Pferden