Die Kommunikationsweise von Pferden ist tief in ihrer Natur als Fluchttier verwurzelt. In der Wildnis überleben Pferde nur, wenn sie leise und subtil miteinander kommunizieren, ständig wachsam sind und auf kleinste Veränderungen innerhalb der Herde reagieren. Deshalb haben sie eine bemerkenswerte Fähigkeit entwickelt, nonverbale Signale und feine energetische Schwingungen in ihrer Umgebung zu lesen und darauf zu reagieren. Im Pferdetraining ist das Verständnis der Pferdenatur und eine pferdegerechte Kommunikation von zentraler Bedeutung. Denn nur dann kann eine tiefe Verbindung zwischen Mensch und Pferd entstehen und sich eine vertrauensvolle und harmonische Zusammenarbeit entwickeln.

Natürliche Pferdekommunikation

Pferde kommunizieren miteinander hauptsächlich über Körpersprache und Energie. Diese Form der Kommunikation ermöglicht es ihnen, als Herde in der Wildnis zu überleben. Geräusche könnten Raubtiere anlocken, weshalb ihre Verständigung leise und subtil ist, aber dennoch äußerst effektiv. In einer Pferdeherde herrscht eine konstante Wachsamkeit. Jedes Mitglied der Herde nimmt die Stimmung und die Bewegungen der anderen wahr. Wenn Gefahr droht, gibt es keinen lauten Warnruf – stattdessen wird die Information nur durch eine Kette von Körpersignalen übertragen. Auch wenn nicht alle Pferde die Gefahrenquelle wahrgenommen oder identifiziert haben, reagiert die gesamte Herde blitzschnell und flüchtet gemeinsam. Würde ein Mensch solch eine Szene beobachten, könnte er nicht sagen, welches Pferd die Flucht ausgelöst hat. Denn die Muskelreaktion eines Pferdes ist ungefähr 16-mal schneller als die eines Menschen. Dadurch läuft die Kommunikation zwischen Pferden für uns oft nahezu unsichtbar ab.

Pferde sind Meister der Körpersprache

Pferde sind wahre Meister darin, Körpersprache und damit Emotionen zu lesen. Ihre Kommunikation verläuft in einer Signalkette, die es ihnen ermöglicht, fein miteinander zu kommunizieren. Diese Signalkette könnte folgendermaßen aussehen:

  1. Intention & Absicht: Ein Pferd möchte ein anderes Pferd auf Distanz halten.
  2. Körperausrichtung & Orientierung: Das Pferd wendet sich dem anderen zu, um seine Absicht zu verdeutlichen.
  3. Erhöhung der Körperspannung & Mimik: Das Pferd erhöht seine Körperspannung und verändert seine Mimik, indem es beispielsweise die Nüstern runzelt oder die Ohren leicht anlegt.
  4. Körpersprache & ggf. Bewegung: Das Pferd droht nun mit deutlich angelegten Ohren und einer Kopfbewegung in Richtung des anderen Pferdes. Gegebenenfalls macht es einen gezielten Schritt auf das andere Pferd zu.
  5. Körperkontakt: Als letzte Konsequenz folgt ein physischer Kontakt, wie zum Beispiel ein Biss oder ein Tritt.

Jede Kommunikation zwischen Pferden durchläuft diese Signalkette. Die Signalkette wird nie abgebrochen, bevor nicht die ursprüngliche Absicht durchgesetzt wurde. Sobald jedoch die gewünschte Absicht umgesetzt wurde, wird die Signalkette sofort abgebrochen. Weicht das andere Pferd also beispielsweise schon aufgrund der Körperausrichtung zurück, wird es keine Veränderung der Mimik, Körpersprache oder Körperkontakt mehr geben. Die Schritte folgen oftmals so schnell aufeinander, dass sie für uns Menschen kaum unterscheidbar sind. Kommt es jedoch zum Körperkontakt, können wir uns sicher sein, dass alle Signale vorher bereits gegeben wurden, aber nicht darauf reagiert wurde. Diese Art der Kommunikation ermöglicht eine feine Kommunikation, da bereits auf Stufe 1 oder 2 eine Reaktion erfolgt.

Pferde setzen ihre Körpersprache und ihre Intention unheimlich präzise und abgestuft ein, auch in der Kommunikation mit uns Menschen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir lernen, diese Signale zu lesen, entsprechend zu reagieren und eine ähnliche Kommunikation mit unseren Pferden anzuwenden. Ignorieren wir (unabsichtlich) immer und immer wieder die feinen Signale auf den untersten Stufen, werden Pferde zwangsläufig auf weniger feine Kommunikationsmittel wie deutliche Körpersprache oder auch Körperkontakt zurückgreifen. Wenn Pferde drohen, beißen, treten oder ähnliches haben sie uns vorher bereits mitgeteilt, dass etwas nicht in Ordnung ist. In diesem Fall liegt der Fehler jedoch nicht beim Pferd, sondern bei uns. Gleichzeitig eröffnet uns diese Art der Verständigung die Möglichkeit, mit unserem Pferd eine feine und nahezu unsichtbare Kommunikation zu etablieren – ganz ohne viele Hilfsmittel oder Druck.

Körpersprache des Menschen

Um einen Dialog mit unserem Pferd zu eröffnen, müssen wir uns unserer Körpersprache bewusst werden. Da viele Menschen überwiegend sitzenden Tätigkeiten nachgehen und die Zeit in Bewegung immer mehr abnimmt, ist auch das Körperbewusstsein vieler Menschen reduziert. Wir sind uns gar nicht immer bewusst, was wir mit unserem Körper gerade tun und wie sich unser Körper anfühlt. Aspekte, die zur Körpersprache des Menschen gehören, sind:

  • Mimik
  • Gestik
  • Körperspannung
  • Körperschwerpunkt
  • Ausrichtung der einzelnen Körperteile (Kopf, Schultern, Becken, Füße etc.)
  • Bewegungstempo
  • Schrittlänge
  • Energie
  • Atmung
  • Nervensystem (wird sichtbar durch Herzschlag & Muskeltonus)
  • Blickrichtung
  • Raumverhalten (Nähe & Distanz zum Gegenüber)

All diese Aspekte sind in jedem Moment, den wir mit unserem Pferd verbringen, präsent und werden vom Pferd wahrgenommen – denn unser Körper ist immer mit dabei. Deshalb macht es einen großen Unterschied, ob wir unseren Körper bewusst und gezielt einsetzen oder nicht. Insbesondere in der Bodenarbeit können wir über Veränderungen unserer Körpersprache einen feinen Dialog mit unserem Pferd führen. Aber auch beim Reiten gibt es viele Aspekte unserer Körpersprache, die uns helfen oder behindern können.

Impulse für die Bodenarbeit

Wenn du das nächste Mal mit deinem Pferd am Boden arbeitest, achte einmal bewusst auf deine Körpersprache. Hier sind ein paar Impulsfragen, die du für das nächste Training mitnehmen kannst:

  • Kommunizierst du zuerst über Körpersprache oder resultieren deine Hilfen vor allem aus der Nutzung von Hilfsmitteln wie Stimme oder Gerte?
  • Inwiefern passt deine Körperausrichtung zur Bewegungsrichtung deines Pferdes?
  • Kannst du deine eigene Energie verändern, wenn du dein Pferd aktivieren oder weniger energetisch machen möchtest?
  • Synchronisiert sich dein Pferd mit dir, wenn du beispielsweise deine Schrittlänge oder dein Tempo anpasst?
  • Funktioniert die Kommunikation über Körpersprache auch auf Distanz?

Nimm dir Zeit und experimentiere einmal bewusst frei und ohne Hilfsmittel mit deiner Körpersprache. Beobachte die Reaktionen deines Pferdes. Versuche deinen Körper als erstes Hilfsmittel zu nutzen, eine klare Intention zu haben und deinem Pferd mittels deiner Körpersprache verständlich zu machen, was du von ihm möchtest. Fange mit einfachen Übungen wie Anhalten, Losgehen oder Tempowechsel an und probiere im weiteren Verlauf Gangartenwechsel und Richtungswechsel. Du kannst auch mit Nähe und Distanz und einem Wechsel zwischen Ruhe und Energie spielen.

Impulse fürs Reiten

Auch im Sattel ist der Körper immer mit dabei und die Körpersprache spielt eine entscheidende Rolle. Mache dir bewusst, dass jede Veränderung in deinem Körper von deinem Pferd unmittelbar wahrgenommen wird. Achte bewusst auf Atmung, Körperausrichtung, Blickrichtung, Körperschwerpunkt und Körperspannung. Experimentiere auch hier damit, was passiert, wenn du etwas veränderst:

  • Inwiefern folgt dein Pferd deiner Blickrichtung?
  • Wie reagiert dein Pferd auf die Veränderung deiner Ausrichtung von Schultern oder Becken?
  • Wo ist dein Körperschwerpunkt beim Reiten und was verändert sich, wenn du diesen nach vorne oder hinten verlagerst?
  • Was passiert, wenn du flacher oder tiefer atmest oder deinen Atem anhältst?
  • Wie viel oder wenig Körperspannung ist gut für dich und dein Pferd?

Fazit

Unsere Körpersprache ist ein unverzichtbarer Schlüssel für die Kommunikation mit unserem Pferd – sei es am Boden oder im Sattel. Sie ermöglicht uns, mit feinen, klaren Signalen eine tiefere Verbindung zu unserem Pferd aufzubauen und eine harmonische Partnerschaft zu stärken. Gleichzeitig schult sie unser eigenes Bewusstsein für unseren Körper und unsere Energie. Pferde sind äußerst sensible Wesen, die auf die kleinsten Veränderungen reagieren – das macht sie zu perfekten Spiegeln unserer eigenen inneren und äußeren Haltung. Der Weg zu einem besseren Miteinander führt über die Achtsamkeit für uns und unser Pferd.