Wer Pferde hält oder mit ihnen trainiert, übernimmt Verantwortung für ein Lebewesen, das über ganz eigene, tief verankerte Bedürfnisse verfügt. Die Grundbedürfnisse von Pferden sind evolutionär geprägt und essentielle Voraussetzungen für Gesundheit – körperlich wie psychisch. Sie zu verstehen und im Alltag umzusetzen, ist die Grundlage für pferdefreundliches Training, artgerechte Haltung und letztlich für ein harmonisches Miteinander. In diesem Artikel schauen wir uns diese Bedürfnisse genauer an und wie sie in der Pferdehaltung berücksichtigt werden können. Egal, ob du einen Pensionsstall für dein Pferd suchst oder dein Pferd in Eigenregie hältst – dieses Wissen ist für jeden Pferdemenschen relevant.

Grundbedürfnisse von Pferden

🐴Herdentier – Das soziale Wesen unserer Pferde

Pferde sind hochsoziale Herdentiere. Ihr Überleben in freier Wildbahn hing (und hängt) davon ab, dass sie sich aufeinander verlassen können: auf das Warnsignal eines Artgenossen und auf soziale Bindungen, die Sicherheit geben. Eine Herde ist ein komplexes soziales System, in dem jedes Pferd andere Funktionen übernimmt und so einen Beitrag zum Überleben leistet.

Ein großer Eingriff in das soziale Grundbedürfnis eines Pferdes geschieht schon durch die künstlich zusammengestellten Gruppen in der Pferdehaltung. Isolation, Einzelhaltung oder ständiger Wechsel in der Gruppenstruktur, wie es in der modernen Pferdehaltung leider immer noch zu häufig der Fall ist, bedeuten einen drastischen Einschnitt in das Bindungsbedürfnis eines Pferdes und können zu massivem psychischem Stress führen – mit weitreichenden Folgen für die physische Gesundheit. Chronischer Stress erhöht unter anderem das Risiko für Magengeschwüre, Immunschwächen und Verhaltensauffälligkeiten.

Was eine artgerechte Pferdehaltung braucht:

  • Feste Bezugsgruppen mit stabiler Herdenstruktur
  • Genügend Platz für soziale Interaktion, Rückzug und Bewegung
  • Beobachtung und Management einer harmonischen Herdenzusammenstellung

🐎Lauftier – Bewegung als Lebensgrundlage

Pferde sind gemacht, um sich zu bewegen – und das viele Stunden am Tag. In der Natur mussten sie teilweise weite Strecken zurücklegen, um genügend Nahrung und Wasser zu finden. Deshalb sind die meisten Körperfunktionen von Pferden von langsamer, stetiger Bewegung abhängig.

  • Die Hufe: Jeder Schritt stimuliert den Hufmechanismus, fördert die Durchblutung und ein gesundes Hornwachstum.
  • Gelenke, Bänder & Sehnen: Beständige, moderate Bewegung schmiert die Gelenke und schützt vor Degeneration und verbessert die Belastbarkeit von Bändern und Sehnen – sorgt also in Summe für einen gesunden und tragfähigen Bewegungsapparat, den wir uns von unseren Reitpferden wünschen. Unterschiedliche und unebene Untergründe fördern außerdem die Propriozeption und sorgen für ein besseres Gleichgewicht und eine bessere Koordination.
  • Muskeln & Faszien: Bewegung unterstützt den Aufbau der Haltemuskulatur und schützt vor Verspannungen. Die Faszien bleiben geschmeidig und elastisch, sodass sie ihrer Aufgabe im Körper, alles zusammenzuhalten, nachkommen können.
  • Die Lunge: Nur bei ausreichender Bewegung wird die Lunge komplett durchlüftet, was vor Atemwegserkrankungen schützt.
  • Die Verdauung: Bewegung aktiviert den Darm, beugt Koliken vor und unterstützt das sensible Mikrobiom.
  • Innere Organe: Die inneren Organe eines Pferdes sind mit einem verhältnismäßig hohen Gewicht der Schwerkraft ausgeliefert. Bewegung aktiviert die Bauch- und Rückenmuskulatur, stützt so die inneren Organe und verhindert ein Absinken, was die Verdauung, Atmung und die Organfunktion beeinträchtigen kann.

Pferde brauchen nicht nur einmaliges Training am Tag, bei dem sie sich bewegen können. Ihr Körper ist darauf ausgelegt, sich den ganzen Tag in moderater Geschwindigkeit zu bewegen. Haben sie dazu nicht die Möglichkeit oder keinerlei Notwendigkeit, kann dies schnell zu gesundheitlichen Problemen führen.

Was eine artgerechte Pferdehaltung braucht:

  • Ausreichend Platz, um Bewegung zu ermöglichen
  • Bewegungsanreize und eine strukturierte Umgebung, die natürliche Bewegung fördern
  • Verschiedene Untergründe, von hart bis weich, von eben bis uneben

🌿Dauerfuttersuche – Vielfalt statt Überfluss

Pferde sind keine „Mahlzeitenfresser“, sondern Dauerfuttersucher. Ursprünglich lebten sie in kargen Steppen- und Waldlandschaften, wo sie täglich viele Kilometer zurücklegten, um rohfaserreiches, aber nährstoffarmes Futter aufzunehmen: Gräser, Kräuter, Rinden, Moose, Blätter, Zweige, Beeren – und sogar Erde.

Dieses Fressverhalten ist eng mit ihrer Verdauungsphysiologie verknüpft. Der Pferdemagen produziert permanent Magensäure, auch in Fresspausen. Speichel wird nur beim Kauen gebildet und dient zur Pufferung der Magensäure. Längere Fresspausen oder auch Fressbremsen können somit zu Stress und Magengeschwüren führen. Außerdem haben Pferde ein natürliches Kaubedürfnis. Wenn ihnen also kein gutes Futter zur Verfügung steht, fressen sie unter Umständen auch unerwünschte Dinge, die ihnen nicht guttun.

Die Vielfalt der aufgenommenen Pflanzen unterstützt das Darmmikrobiom – und damit das Immunsystem. Dieser notwendigen Vielfalt können wir mit alleiniger Heu-Fütterung in der Regel nicht nachkommen. In der Natur besteht ein wesentlicher Anteil des Futters aus Gehölzfutter, d.h. Blätter, Zweige und Rinde. Außerdem sind auch frische Pflanzen wichtig für die Darmgesundheit.

Was eine gute Haltung bieten sollte:

  • Uneingeschränkten Zugang zu energiearmem Futter, um Futterstress, Fresspausen und Gewichtsprobleme zu vermeiden
  • Frische und vielfältige Futtermöglichkeiten mit frischen Pflanzen, Kräutern, Ästen, Wurzeln, Beeren oder Laub
  • Futtersuche ermöglichen durch mehrere Futterstellen, natürliche Bepflanzung und pferdegerechte Weiden

Verschiedene Haltungsformen im Überblick

Was sich in der Theorie so einfach anhört, ist in der Praxis oft gar nicht so leicht umzusetzen. Für einen ersten Einstieg betrachten wir die verschiedenen Haltungsformen, die inzwischen üblich sind und wie gut sie die Grundbedürfnisse von Pferden erfüllen.

Boxenhaltung

Boxenhaltung mit oder ohne Paddock ist in Deutschland, leider, immer noch die weitverbreitetste Haltungsform. Dabei genießen die Pferde mehr oder weniger langen Weidegang.

  • Soziale Kontakte: Meist nur durch oder über Gitter oder gelegentlich auf dem Paddock – das reicht Pferden nicht. Mangelnde soziale Interaktion kann zu Verhaltensauffälligkeiten, Frustration und Stress führen.
  • Bewegung: Stark eingeschränkt – selbst bei täglichem Auslauf auf dem Paddock oder der Weide kann das Bewegungsbedürfnis nicht ausreichend erfüllt werden.
  • Futteraufnahme: Heu wird meist in Portionen gefüttert, lange Fresspausen sind üblich. Frische Pflanzen, Kräuter oder strukturreiche Vielfalt fehlen in der Regel.

Vorteil: Oft bequemer für den Menschen, da das Pferd sauber aus der nahegelegenen Box geholt werden kann. Geringeres Verletzungsrisiko.

Nachteil: Die Grundbedürfnisse der Pferde werden nicht erfüllt, was sich langfristig negativ auf Psyche und Körper auswirken kann.

Offenstallhaltung

Bei der Offenstallhaltung werden Pferde in Gruppen zusammen auf einem Paddock gehalten und können sich frei zwischen Unterstand, Heu und Wasser bewegen.

  • Soziale Kontakte: Pferde leben in Gruppen und können ihrem Bedürfnis nach Kontakt nachkommen. Durch eine fehlende Strukturierung des Paddocks können Rückzugsräume und abwechslungsreiche Aufenthaltsbereiche fehlen.
  • Bewegung: Hängt stark vom Platzangebot und von der Gestaltung ab. Flache Paddocks mit nur einer Futterstelle und ohne Reize regen nur wenig zur Bewegung an.
  • Futteraufnahme: Je nach Gestaltung. Meist wird Heu ad libitum gefüttert, zusätzliche natürliche Futterquellen fehlen aber oft.

Vorteil: Für die Pferde eine echte Verbesserung gegenüber Boxenhaltung. Sozialkontakt, Bewegungsfreiheit und eine oft uneingeschränkte Futteraufnahme sind möglich.

Nachteil: Oftmals fehlende Bewegungsanreize und wenig vielfältige Futtermöglichkeiten.

Weidehaltung

Viele Pferden verbringen im Sommer 24/7 auf der Weide und leben dort naturnah in Gruppen zusammen und können einem natürlichen Tagesablauf mit Futtersuche, Pausen und sozialen Interaktionen nachgehen.

  • Soziale Kontakte: Pferde leben in Gruppen, was meist gut funktioniert.
  • Bewegung: Große Weideflächen fördern Bewegung – jedoch nur, wenn das Gelände abwechslungsreich ist. Bei überständigem Gras und satten Böden kann der Bewegungsdrang abnehmen.
  • Futteraufnahme: Natürlicher als in anderen Haltungsformen, jedoch oft zu nährstoffreich, vor allem bei Dauerweiden mit viel Gras und wenig Vielfalt. Kräuter, Gehölze und strukturreiches Futter fehlen häufig.

Vorteil: Meist viel Platz und ein recht natürliches Zusammenleben in einer Herde. Natürliche, bodennahe Futteraufnahme.

Nachteil: Je nach Weide ggf. Überversorgung mit Energie und wenig Bewegung durch fehlende Strukturen und nicht notwendige Futtersuche. Jahreszeitlich begrenzt.

Aktivstall

Der Aktivstall ist ein Offenstall-Konzept, das in verschiedene Funktionsbereiche aufgeteilt ist und über eine automatische Fütterung verfügt.

  • Soziale Kontakte: Der Aktivstall ist immer auf Gruppenhaltung ausgelegt. Die automatisierte Fütterung ermöglicht außerdem die Erfüllung unterschiedlicher Anforderungen und besonderer Bedürfnisse wie Zusatzfutter, mehr oder weniger Futter.
  • Bewegung: Der Aktivstall wurde explizit entwickelt, um mehr Bewegung im Alltag zu fördern. Pferde müssen sich zwischen verschiedenen Stationen wie Futter, Wasser, Ruhe, Kratzbürsten bewegen.
  • Futteraufnahme: Die computergesteuerte Fütterung erlaubt die Verteilung von kleinen Heumengen über den Tag, was das Fressverhalten stark an das der Wildpferde annähert. Bei schlechtem Management kann die computergesteuerte und damit eingeschränkte Fütterung aber auch zu Stress führen.

Vorteil: Erfüllt alle drei Grundbedürfnisse, wenn gut umgesetzt. Entlastung des Menschen durch automatisierte Abläufe. Anforderungen verschiedener Pferde können erfüllt werden, was in anderen Haltungsformen oft nur schwer möglich ist.

Nachteil: Hoher technischer Aufwand und kostenintensiv bei der Anschaffung. Nicht alle Pferde kommen mit dem System zurecht. Erfordert sehr gutes Management und genaue Beobachtung.

Paddock Trail

Der Paddock Trail ist eine bewegungsanregende Offenstallform mit verschiedenen Funktionsbereichen und strukturiertem Rundweg, meist um die Weidefläche herum.

  • Soziale Kontakte: Der Trail ahmt die Wanderbewegungen von Wildpferden nach und fördert so die Herdeninteraktion. Durch die strukturierte Gestaltung gibt es in der Regel genügend Rückzugsmöglichkeiten.
  • Bewegung: Durch die gezielte Struktur mit verschiedenen Bewegungsanreizen wie Engstellen, Kletterhügeln, wechselnden Untergründen, Futter- und Wasserstellen auf Distanz werden Pferde zur regelmäßigen Bewegung angeregt.
  • Futteraufnahme: Verschiedene Stationen mit Raufutter, saisonale Ergänzungen durch frische Pflanzen, Äste oder Kräuter, ggf. selektive Weidenutzung kommt der natürlichen Futtersuche sehr nahe.

Vorteil: Ganzjährige Bewegung, natürliches Herdenleben und naturnahe Futteraufnahme. Auch bei weniger Platz kann für Pferde eine artgerechte Haltung geschaffen werden. Bei guter Umsetzung außerdem ein Beitrag zu Natur- und Tierschutz.

Nachteil: Hoher Planungsaufwand, langfristige und aufwändige Umsetzung.

Naturnahe Haltung für glückliche & gesunde Pferde

Die Grundbedürfnisse der Pferde in der Haltung zu berücksichtigen ist essentiell für ein gesundes und glückliches Pferd, mit dem wir eine schöne Zeit verbringen können. Schon einfache Veränderungen können helfen, die natürlichen Bedürfnisse unserer Pferde besser zu erfüllen, z.B. durch

👉 Bewegung durch natürliche Anreize und Paddockgestaltung

👉 Soziale Kontakte und ein naturnahes Herdenleben

👉 Futtervielfalt statt Überversorgung

Wer seine Pferde naturnah hält, investiert nicht nur in deren Gesundheit – sondern auch in die Qualität der Beziehung. Denn Pferde, die körperlich gesund und seelisch im Gleichgewicht sind, sind entspannter, kooperativer und bessere Partner.